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joenoname.com : von neumann's play-off : homo oeconomicus

Von Neumann's Play Off
Zur Seetauglichkeit von Wahlen, Spielen und Theorien im Wellenschlag selbstverwalteter Fördertöpfe

Der Mensch als Wirtschaftssubjekt - Traditionelle und moderne Konzepte der Ökonomie

Der homo oeconomicus

Weit über ein Jahrhundert lang schon hält sich das Konzept des homo oeconomicus als Paradigma des agierenden Wirtschaftssubjektes in der ökonomischen Theorie: ein vollkommen rational handelnder Mensch, der allein nach dem Prinzip der Maximierung seines persönlichen Nutzens entscheidet und sich entsprechend verhält. Die Ursprünge dieses Konzepts gehen wohl noch weiter zurück: Bereits Adam Smith, der Begründer der klassischen Nationalökonomie, sah das Wahrnehmen des Eigeninteresses und nicht Altruismus oder Wohlwollen als Basis für den Wohlstand der Nationen. Die „invisible hand“, die wie auf magische Weise die Märkte lenkt, ist eine Konsequenz des Zusammenspiels vieler nutzenmaximierender Wirtschaftssubjekte. Jedoch kann man in seinem weniger bekannten Buch „The Theory of Moral Sentiments“ auch Erkenntnisse über die menschliche Psychologie finden, die dieser Beschreibung des homo oeconomicus nicht entsprechen. Zum Beispiel beschrieb er seine Beobachtung, dass Menschen mehr leiden, wenn sie von einer besseren Situation zu einer schlechteren übergehen, als sie sich freuen, wenn sie sich von derselben schlechteren Situation zu jener besseren übergehen. Im Jargon der ökonomischen Theorie beschreibt Adam Smith damit, dass ein Wertverlust (ausgedrückt in „Leiden“) von Menschen anders beurteilt wird als ein äquivalenter Wertgewinn (ausgedrückt in „Freude“). Das passt nicht in das Bild des homo oeconomicus, denn dessen vollkommen rationale Beurteilung impliziert dass die Differenz seines Nutzens von Situation A nach Situation B gleich der sein muss, die von B nach A führt.

Abstrakte Modelle

Trotz dieser frühen Einsichten über die menschliche Psychologie und ihren Einfluss auf das Verhalten und Entscheiden von Menschen ist das Paradigma des homo oeconomicus bis heute die vorherrschende Beschreibung des Wirtschaftssubjekts in der Ökonomik. Die neoklassische Theorie abstrahiert dieses Konzept noch weiter, indem sie sehr spezifischen Annahmen über die Präferenzen des homo oeconomicus macht, die es dann erlauben, mathematisch-formale Modelle aufzustellen, die die ökonomische Realität abbilden sollen. Innerhalb dieser Modelle ist der Mensch, also der ökonomische Entscheidungsträger, von seinen unveränderbaren Präferenzen geleitet, anhand derer er unter Ausnutzung jeder verfügbaren Information seinen persönlichen Nutzen maximiert. Ein vollkommen rationaler Entscheider, dem kein Raum für Unsicherheit über seine Vorlieben und Wünsche bleibt, er kennt seine Beweggründe von gestern genausogut wie die von morgen, denn sie ändern sich nicht.

Nun ist der Mensch aber meist nicht allein als Entscheidungsträger in einer gegebenen Situation, die ökonomische Realität ist ein Zusammenspiel vieler Akteure, ihrer Verhaltensweisen, ihrer Erwartungen und anderer unsicherer Ereignisse. Das Ergebnis einer Entscheidung hängt also nicht nur vom Entscheider selbst sondern auch von dem Verhalten aller anderen Menschen in dieser Situation ab. Demnach muss ein rationaler Entscheider diese Zusammenhänge berücksichtigen, um die für ihn optimale Entscheidung zu finden. Es wird hier schnell ersichtlich, dass die ökonomische Theorie Annahmen über Präferenzen und Verhalten der Akteure treffen muss, um überhaupt in der Lage zu sein, irgendwelche Vorhersagen in solch komplexen Situationen zu treffen. Da sich der homo oeconomicus nun rational verhält, kann er unter bestimmten Bedingungen das rationale Verhalten aller anderen Beteiligten voraussagen. Die Leitlinien für eine Vorhersage des Ergebnisses dieser Situation sind daher gegeben: jeder Akteur optimiert seine Entscheidung unter der Annahme, dass alle anderen Akteure ihrerseits dasselbe tun.

Spieltheorie

Die Spieltheorie bietet ein Instrumentarium, um Situationen strategischer Interaktion zu beschreiben und zu „lösen“. Ein Spiel ist die Beschreibung einer solchen Situation, sie beinhaltet die Interessen der Akteure („Spieler“) sowie die den Spieler zur Verfügung stehenden Strategien. Annahme ist hierbei, dass die Spieler sich volkommen rational verhalten, sie verfolgen ihre eigenen wohldefinierten Interessen und berücksichtigen dabei das Wissen und die Erwartungen aller anderen Spieler. Jedem Spieler ist bewusst, dass sich auch alle anderen rational verhalten, und dass auch allen anderen wissen, dass sich jeder rational verhält. Das Ziel besteht nun darin, ein Gleichgewicht zu finden, in dem kein Akteur einen Anreiz hat, von seinem Verhalten abzuweichen. Ein Ruhepunkt gewissermassen, in dem jeder seine beste Antwort auf die beste Antwort aller anderen gibt. Das ist eine Prognose über den Ausgang eines solchen Spiels, eine Lösung, die die Spieltheorie mit ihrem Instrumentarium bieten kann. Spieltheoretische Modelle sollen als Repräsentationen von Klassen ökonomischer Situationen der Realität verstanden werden, die ein hohes Maß an Abstraktion vorweisen. Diese Abstraktion ermöglicht es, ein breiteres Spektrum an Phänomenen zu analysieren. Nimmt man z.B. die Theorie der wiederholten Spiele, so können soziale Phänomene wie Drohungen und Versprechen als Resultat optimalen Verhaltens rationaler Akteure abgeleitet werden.

Jedoch wird die Situation bzw. das Spiel schnell sehr kompliziert, wenn man versucht, sich der Realität anzunähern. Es müssen immer mehr Annahmen über Verhalten, Information und Erwartungen der Akteure getroffen werden, um ein Spiel noch als lösbar darzustellen. So erreichen ökonomische Modelle ein hohes Maß an Komplexität, und nicht nur die Analyse an sich, sondern auch die blosse Anwendung fortgeschrittener mathematischer Methoden und formaler Instrumente sind für den Laien nicht mehr nachvollziehbar. Gleichzeitig jedoch steigen mit der Komplexität der Modelle auch die Anforderungen an die Kapazitäten der Entscheidungsträger innerhalb dieser Modellwelt. Den homo oeconomicus stört das aber nicht weiter, denn er ist ja per Annahme in der Lage, sich unter Berücksichtigung aller gegebener Informationen optimal zu verhalten. Das heisst, er kennt keine Grenzen in der Verarbeitung von Information, und keine Situation ist zu komplex, um vom Verstand dieses Modellentscheiders vollständig absorbiert zu werden.

Wie nützlich solche Modelle sind, zeigt sich an der Gültigkeit und Allgemeinheit ihrer Aussagen. Sie müssen der Realität gegenübergestellt werden und zumindest in einem kleinen Ausschnitt derselben einen Prognosecharakter vorweisen können. Nicht immer jedoch kann die ökonomische Theorie mit ihrer Standardannahme der individuellen Nutzenmaximierung in der Realität beobachtete Phänomene erklären. Dies trifft nicht nur für kaum vorhersehbare Börsencrashs zu, sondern auch für ganz simple Situationen mit wenigen Akteuren und überschaubarer Struktur. Woran scheitert die Modellwelt? Die Crux liegt in den Annahmen über Motivation, Erwartungen und Verhalten der Hauptakteure. Ökonomie ist Sozialwissenschaft, und als solche muss sie sich mit den Eigenheiten des Menschen und der menschlichen Interaktion auseinandersetzen. Menschen sind keine programmierten Maschinen, die exogene, unveränderbare Präferenzen haben, und die sich in vergleichbaren Situationen immer gleich verhalten. Sie werden auch von Gefühlen wie Altruismus, Rache, Angst oder Großmut geleitet, die nicht nur für Psychologen von Interesse sind, sondern gleichermassen auch für Ökonomen.

Experimentelle Ökonomik

Die Beobachtungen aus der (ökonomischen) Realität, die sich oft nicht mit den Vorhersagen ökonomischer Modelle deckten, veranlassten Wirtschaftswissenschaftler seit den 60er Jahren dazu, Experimente mit Menschen zu machen, um auf systematische Weise festzustellen, wann, wie und warum die Prognosen der Modelle nicht zutreffen. Diese Experimente werden meist in einem Labor durchgeführt, um möglichst viele der Variablen kontrollieren zu können. Den Teilnehmern eines solchen Experiments wird nun eine Situation mit ökonomischer Relevanz beschrieben, in der sie eine Rolle übernehmen und ensprechend agieren sollen. Wichtig aus der Perspektive des Ökonomen ist, daß die Teilnehmer einen entsprechenden Anreiz haben, sich wie Wirtschaftssubjekte zu verhalten, die in einer vergleichbaren Situation in der Realität stehen. Das heißt, sie können sich einen Geldbetrag erspielen, der davon abhängt, wie erfolgreich sie sich in dem experimentellen Spiel verhalten. Der monetäre Anreiz ist wesentlich, da nur so überhaupt die Vergleichbarkeit zu einer entsprechenden realistischen Situation und der Vorhersage eines Ergebnisses durch die Theorie gegeben ist. Wenn also Menschen andere Beweggründe neben denen der Auszahlungsmaximierung haben, ist dies in einer solch kontrollierten Umgebung eines Experiments gut zu erkennen.

Zur Veranschaulichung soll ein konkretes Beispiel aus der Verhandlungstheorie dienen: Zwei Spieler sollen sich einen Geldbetrag von 10 Euro teilen. Die Spielregeln besagen, daß Spieler 1 das Vorschlagsrecht hat, d.h. er bietet Spieler 2 einen Geldbetrag an. Spieler 2 kann diesen Betrag nun annehmen, und jeder Spieler erhält dann den entsprechenden Betrag gemäß des Vorschlags von Spieler 1. Spieler 2 kann jedoch auch ablehnen, dann gehen beide leer aus, d.h. der Betrag verfällt. Ein einfaches Spiel, das sogenannte Ultimatumspiel, mit einer einfachen spieltheoretischen Lösung: Spieler 1 behält fast den gesamten Betrag für sich und bietet Spieler 2 nur einen Cent an, dieser nimmt dieses Angebot an. Wieso ist das die spieltheoretische Lösung? Unter der Annahme, dass beide Spieler nur an monetären Auszahlungen interessiert sind, hat Spieler 2 keine grosse Wahl: wenn er ablehnt, erhält er überhaupt nichts, und da ein Cent besser ist als nichts, sollte er den lieber annehmen. Spieler 1 antizipiert dieses Verhalten und bietet daher auch nur den einen Cent, da er selbst nur an seiner eigenen Auszahlung interessiert ist und keinen Grund hat, freiwillig mehr wegzugeben.

An diesem einfachen Beispiel wird bereits das Dilemma der Diskrepanz zwischen Theorie und Realität ersichtlich. Wer sich in die Situation eines dieser Spieler hineinversetzt, wird sehr wahrscheinlich anders argumentieren als es die Spieltheorie unter Annahme rein monetärer Auszahlungsmaximierung tut. Was, wenn der andere Spieler nicht so rational ist? Wenn er einen Cent als Beleidigung auffasst und ablehnt, dann erhalten beide nichts. Das ist für Spieler 2 weniger schmerzhaft als für Spieler 1, denn letzterer würde einen viel grösseren Betrag verlieren. Die Angst vor dem möglichen Verlust kann Spieler 1 veranlassen, mehr anzubieten als es die Theorie vorhersagt. Und genau das zeigen auch die Ergebnisse unzähliger experimenteller Untersuchungen. Teilnehmer in der Rolle von Spieler 2 geben meist kleine Beträge auf und lehnen niedrigen Angebote von Spieler 1 ab, um diesen für seine Gier zu bestrafen. Andererseits bieten Teilnehmer in der Rolle von Spieler 1 dem Mitspieler viel grössere Beträge, als die Theorie vorhersagt. Viele Spieler betrachten den Vorschlag, den Geldbetrag in zwei gleiche Teile aufzuteilen als ein faires Ergebnis.

All diese Überlegungen haben in der herkömmlichen ökonomischen Theorie jedoch keinen Platz. Sie machen die Modelle viel unüberschaubarer, und elegante mathematische Theorien schienen sich einfach besser zu verkaufen. Doch kommt heute kein Ökonom mehr an diesen Einwänden vorbei, und die experimentelle Evidenz, die den theoretischen Modellen widerspricht, ist überwältigend. Alternative Modelle verwenden Konzepte der eingeschränkten Rationalität, um die Motivation des ökonomischen Entscheiders zu beschreiben, in denen auch Fairness, relativer Status oder Reziprozität einen Platz haben. Es scheint, als würden sich die Ökonomen wieder darauf besinnen, daß der Mensch im Mittelpunkt ihrer Wissenschaft steht.

Anita Gantner, Innsbruck 2006

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Das Wahlexperiment
Der homo oeconomicus
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